Interview mit dem sächsischen Landesrabbiner Zsolt Balla
Zsolt Balla ist ein Pionier. Der gebürtige Budapester war 2008 neben Avraham Radbil der erste in Deutschland orthodox ausgebildete Rabbiner seit 1938. Doch damit nicht genug. 2021 trat er die Nachfolge von Leo Baeck als Militärbundesrabbiner in den deutschen Streitkräften nach mehr als 100 Jahren an. Wir haben Zsolt Balla um ein Interview gebeten, dieser Bitte kam er gerne nach:
Wann haben Sie sich entschlossen Rabbiner zu werden, und warum haben Sie in Deutschland Ihr Rabbinatsstudium durchgeführt?
Zsolt Balla: Nach Abschluss meines Studiums in Budapest wollte ich mir etwas Zeit für jüdisches Lernen und Erfahrungen im Ausland nehmen. Als mir vorgeschlagen wurde, nach Berlin zum damaligen Lauder Jüdischen Lehrhaus zu kommen, entschied ich mich dafür. Aber es war nur für ein Jahr geplant. Damals wusste ich noch nicht, dass mich das intensive Studium des Talmuds und des Judentums so sehr fesseln würde, und nach einem Jahr war mir klar, dass ich mich im jüdischen Bildungsmanagement engagieren wollte. Dann erfuhr ich jedoch, dass man als erfolgreicher jüdischer Pädagoge bestimmte Qualifikationen vorweisen muss, beispielsweise eine Rabbinerweihe. Also begann ich die Rabbinerausbildung. Später, als ich Erfahrungen als Gemeinde-Rabbiner und Seelsorger sammelte, wurde mir klar, dass mir diese Arbeit sehr viel Freude bereitet und es ein großes Privileg ist, sich für die jüdische Gemeinde einzusetzen.
Seit 2009 wirken Sie als Rabbiner in der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig. Die Stadt galt damals schon als das neue Berlin. Zog es Sie deshalb in die Messestadt?
ZB: Meine wichtigste Motivation, nach Leipzig zu ziehen, war meine Frau. Ich habe mich quasi in die jüdische Gemeinde Leipzig „eingeschwängert“ – deren Mitglieder sind nicht nur unsere Gemeinde, sondern auch unser engster Freundeskreis, und tatsächlich eine große, schöne Großfamilie. Durch meine Frau hatten wir eine sehr natürliche Beziehung zur Leipziger Gemeinde, und so war es dieses Gemeinschaftsgefühl in der IRG Leipzig, das mich 2009 dazu bewog, hier Gastrabbiner zu werden und im September 2010 hierher zu ziehen.
Sind Ihre Kinder jetzt sächsische Juden?
ZB: Unsere Familie ist tatsächlich eine sächsische jüdische Familie.
Neben dem Leipziger Rabbinat haben Sie auch das Amt des Militärrabbiners übernommen, wie können sich Laien die jüdische Militärseelsorge in der Bundeswehr vorstellen?
ZB: Meine weise Frau sagt, dass etwa 80 Prozent meiner Arbeit als Militärbundesrabbiner darin besteht, den Menschen zu erklären, was meine Arbeit ist.
Zudem sind Sie ehrenamtlicher Landesrabbiner für Sachsen. Wo sind sie überall unterwegs und was sind Ihre Aufgaben?
ZB: Unsere Arbeit als Militärseelsorge entspricht der katholischen oder evangelischen Militärseelsorge: Wir sind für jeden einzelnen Soldaten da, bieten moralische Unterstützung und engagieren uns natürlich auch in der ethischen Erziehung der Soldatinnen und Soldaten. Der zusätzliche Aspekt ist natürlich, dass wir über Fachwissen in jüdischer Religion und Ethik verfügen und so einen weiteren Beitrag zu den oben genannten Aufgaben leisten können.
Würden Sie sich bei all diesen Aufgaben gerne einmal vervielfachen wollen?
ZB: Ja, natürlich. Und ich glaube, das ist die Idee. Wir sind am Anfang einer langen und spannenden Reise.
Mit welchen wenigen Sätzen würden Sie einem ahnungslosen Menschen das Judentum erklären?
ZB: Wenn wir glauben, dass es einen Schöpfer dieser Welt gibt, der uns mit einem Ziel erschaffen hat, dann muss er uns dies mitgeteilt haben. Und wenn er das getan hat, müssen wir unser Bestes tun, um zuzuhören und unsere Mission in diesem Leben zu erfüllen. Wenn wir gut zuhören, werden wir unser Leben bestmöglich gestalten und diese Welt zu einem besseren Ort machen. Das ist, kurz gesagt, das Judentum.
Welches jüdische Fest ist Ihnen das liebste und warum?
ZB: Immer das, das gerade kommt.
Sie spielen in Ihrer Freizeit Bassgitarre und haben mit ehemaligen Gefährten aus der Talmud-Hochschule die Bund „The Holy Smokes“ gegründet? Die Musik welcher Künstler spielen Sie am liebsten?
ZB: Wir lieben die Musik von Shlomo und Etan Katz, Abie Rotenberg, den Razel-Brüdern, Yishai Ribo, Shlomo Carlebach und vielen anderen großartigen zeitgenössischen jüdischen Musikern. Und natürlich wird Leonard Cohen immer in unseren Herzen bleiben. Aber wir lieben auch die klassische Tradition der jüdischen Liturgie, und zusammen mit Landesrabbiner Daniel Fabian haben wir sie viele Jahre lang für Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Deutschland gespielt, um sie zu unterrichten und ihnen die Sprache und Musik des jüdischen Gebets näherzubringen.
Nächstes Jahr findet das Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen statt. Worauf freuen Sie sich dabei am meisten und was erhoffen Sie sich von diesem Jahr?
ZB: Für mich war es immer am wichtigsten, dass wir uns kennenlernen, miteinander reden, die Komplexität und Schönheit unserer Gesellschaft verstehen und uns gegenseitig helfen zu erkennen, dass unsere Stärke darin liegt, uns gegenseitig zu stärken. Kultur hat die Kraft, Menschen zusammenzubringen, und das brauchen wir heute mehr denn je.
Gibt es ein jiddisches Wort, das Ihnen besonders gut gefällt?
ZB: Natürlich das Wort „Schulem“ oder im modernen Hebräisch „Schalom“.
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